12 gemeinsame mehrwöchige Touren durch Asien,
Südamerika und Europa hatten wir - mein langjähriger Radelpartner Lutz
Als wir Morgen des 19. Oktober 2006 in der
kirgisischen Hauptstadt Bischkek
landen und sofort zur Radtour durchstarten wollen, fehlen uns sowohl die
Fahrräder als auch das gesamte eingecheckte Gepäck. 12 Tage müssen wir warten,
ehe British Airways unsere Ausrüstung
vollständig nachgeliefert hat. Wie hoch auch die finanzielle Entschädigung
ausfallen mag, sie wird nicht reichen, um für nervige Warterei, vergeudete Zeit
und das teils verpasste Radabenteuer auszugleichen. Ein Viertel unserer
Reisezeit ist unwiederbringlich verloren.
Unsere Route durch Kirgisien müssen wir deshalb
drastisch kürzen. Uns verbleiben gerade mal vier Tage, um auf einer abgelegenen
Piste östlich der At Bashi-
Gebirgskette zur chinesischen Grenze zu radeln. In der Oasenstadt Kashgar beginnt für uns das Abenteuer Karakorum-
Highway
(KKH). Auf
glattem Asphalt geht es durch die Ghezschlucht
hinauf in den Pamir, vorbei an den
schneebedeckten Riesen Kongur Shan
(7719 m) und Mustag Ata (7546 m). Die
letzten 120 Kilometer müssen wir mit einem Bus fahren, weil Radfahren in den
chinesischen Grenzgebieten verboten ist. Wir verlassen den Bus auf dem Khunjerab- Pass (4733 m), die Grenze
zwischen China und Pakistan, der höchste Punkt des Karakorum- Highway. Eine nicht endend wollende Fahrt durch die
Täler von Hunza, Gilgit und Indus beginnt.
Die schäumenden Flüsse haben sich tief eingegraben in die schroffe Gebirgswelt
des Karakorum. Es ist eine technische
Meisterleistung, durch diese unwegsamen Täler eine Straße hinein zu sprengen -
und diese auch zu erhalten. Gewaltige Ströme von Gesteinsmassen drohen an
vielen Stellen die Straße wieder zu verschütten, andernorts macht die Kraft des
Wassers nicht einmal Halt vor dem Beton der Stützmauern.
„Nach Pakistan wollt Ihr? Da sehen wir uns nicht
wieder!“ meinte zu Hause manch einer, als er von unseren Reiseplänen hörte.
Darüber können wir heute nur noch lächeln. Wir sind überwältigt von der
Gastfreundschaft der Pakistani. Ob der Grenzposten auf dem Khunjerab-Pass oder
der Polizeiposten in Barkhun 30 km weiter unten - wir fühlten uns sofort aufs
herzlichste Willkommen und vor allem auch sicher in diesem islamischen Land.
Nicht ein einziges Mal hatten wir das Gefühl, als „Ungläubige“ verachtet oder
deshalb gar irgendeiner Gefahr ausgesetzt zu sein. Um uns ihre Toleranz zu
zeigen, erklärten uns spontan mehrmals weißbärtige Moslems „Es ist egal, an
welchen Gott Ihr glaubt, wir sehen uns alle im Paradies wieder!“.
Die landschaftlich reizvollste Etappe auf dem Karakorum- Highway ist die Fahrt durch
den Hunza- Karakorum. Schneebedeckte Gipfel in greifbarer Nähe, Gletscher die
bis an die Straße reichen, unzählige ins Grün der Felder und Bäume eingebettete
Dörfer. Vor allem der Anblick des Rakaposhi ist unvergesslich. Mit 7788 Metern
Höhe ragt er 5000 Meter weit über dem Hunzatal in den azurblauen Himmel hinaus.
Kurz hinter Gilgit,
Distrikthauptstadt der Northern Areas,
verlassen wir den KKH und folgen dem Indus talaufwärts. Der Fluss hat hier eine
der gewaltigsten Schluchten der Erde in die Landschaft gegraben. Nördlich von
uns türmen sich die Berge des Karakorum,
südlich die des Himalaja. In Skardu verlassen wir das Industal und
durchqueren den Himalaja über die Deosai-
Ebene (ca. 4000 m), wo wir die kälteste Nacht unserer Reise erleben (-7°C).
Über das Astor- Valley kommen wir
zurück zum KKH und haben von dort Blick zum Schicksalsberg der Deutschen, dem Nanga Parbat, der mit 8125 m der
neunthöchste Berg der Welt ist.
Den Barbusarpass
(4200 m) können wir aus Zeitgründen nur noch per Jeep erklimmen, die Straße ist
so schlecht dass wir für die 35 km sicher 3 Tage gebraucht hätten. Aber auch
die Abfahrt hinunter ins Kaghan- Valley
hat es, zumindest Anfangs, in sich. Doch früher als erwarten haben wir wieder
Asphalt unter den Pneus.
Über die Urkräfte der Erde und deren schier
unermessliche Gewalt können wir uns ein Bild machen, als wir durch die Region Balakoth fahren. Hier bebte genau 1 Jahr
zuvor die Erde und hat unsägliches Leid über die Menschen hier gebracht. Häuser
wurden zerstört, Strommasten knickten um wie Streichhölzer, Straßen wurden
verschüttet. Wir fahren an unzähligen Zeltstädten verschiedenster
Hilfsorganisationen aus aller Welt vorbei.
Um vom Kaghan-
Valley hinauf nach Muree (»2200
m) zu kommen, müssen wir nochmals fast 1500 Höhenmeter klettern, ehe wir von
dort ohne viel Kraftaufwand bis nach Islamabad
rollen, dem Ziel unserer Reise.
Jens-Ulrich Groß, 2006
Weitere Infos:
Statistisches:
Länge
der Tour: 1902 km
Start
am 1.9.2006 in Naryn, Kirgisien
Ankunft
am 2.10.2006 in Islamabad, Pakistan
Höhenmeter:
20044 m
Fahrräder: vom Chemnitzer
Hersteller Stein-Bike, ausgerüstet mit einer 14-Gang-Rohloff-Nabe und hydraulischen
Scheibenbremsen
Pannen:
keine! (nicht mal ein Plattfuß!)