Mit dem Fahrrad über den Karakorum - Highway

Eine Radtour durch Kirgisien, Westchina und Nordpakistan

12 gemeinsame mehrwöchige Touren durch Asien, Südamerika und Europa hatten wir - mein langjähriger Radelpartner Lutz Gebhardt (54) und ich, Jens-Ulrich Groß (47) - bereits hinter uns, die 13. sollte unsere bisher längste, anspruchvollste und abwechslungsreichste Fahrt werden. Kirgisien, Westchina und Pakistan hatten wir für unser Vorhaben ausgewählt, die Hochgebirge Tienschan, Pamir, Karakorum und Himalaja wollten wir durchradeln.

Als wir Morgen des 19. Oktober 2006 in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek landen und sofort zur Radtour durchstarten wollen, fehlen uns sowohl die Fahrräder als auch das gesamte eingecheckte Gepäck. 12 Tage müssen wir warten, ehe British Airways unsere Ausrüstung vollständig nachgeliefert hat. Wie hoch auch die finanzielle Entschädigung ausfallen mag, sie wird nicht reichen, um für nervige Warterei, vergeudete Zeit und das teils verpasste Radabenteuer auszugleichen. Ein Viertel unserer Reisezeit ist unwiederbringlich verloren.

Unsere Route durch Kirgisien müssen wir deshalb drastisch kürzen. Uns verbleiben gerade mal vier Tage, um auf einer abgelegenen Piste östlich der At Bashi- Gebirgskette zur chinesischen Grenze zu radeln. In der Oasenstadt Kashgar beginnt für uns das Abenteuer Karakorum- Highway (KKH). Auf glattem Asphalt geht es durch die Ghezschlucht hinauf in den Pamir, vorbei an den schneebedeckten Riesen Kongur Shan (7719 m) und Mustag Ata (7546 m). Die letzten 120 Kilometer müssen wir mit einem Bus fahren, weil Radfahren in den chinesischen Grenzgebieten verboten ist. Wir verlassen den Bus auf dem Khunjerab- Pass (4733 m), die Grenze zwischen China und Pakistan, der höchste Punkt des Karakorum- Highway. Eine nicht endend wollende Fahrt durch die Täler von Hunza, Gilgit und Indus beginnt. Die schäumenden Flüsse haben sich tief eingegraben in die schroffe Gebirgswelt des Karakorum. Es ist eine technische Meisterleistung, durch diese unwegsamen Täler eine Straße hinein zu sprengen - und diese auch zu erhalten. Gewaltige Ströme von Gesteinsmassen drohen an vielen Stellen die Straße wieder zu verschütten, andernorts macht die Kraft des Wassers nicht einmal Halt vor dem Beton der Stützmauern.

„Nach Pakistan wollt Ihr? Da sehen wir uns nicht wieder!“ meinte zu Hause manch einer, als er von unseren Reiseplänen hörte. Darüber können wir heute nur noch lächeln. Wir sind überwältigt von der Gastfreundschaft der Pakistani. Ob der Grenzposten auf dem Khunjerab-Pass oder der Polizeiposten in Barkhun 30 km weiter unten - wir fühlten uns sofort aufs herzlichste Willkommen und vor allem auch sicher in diesem islamischen Land. Nicht ein einziges Mal hatten wir das Gefühl, als „Ungläubige“ verachtet oder deshalb gar irgendeiner Gefahr ausgesetzt zu sein. Um uns ihre Toleranz zu zeigen, erklärten uns spontan mehrmals weißbärtige Moslems „Es ist egal, an welchen Gott Ihr glaubt, wir sehen uns alle im Paradies wieder!“.

Die landschaftlich reizvollste Etappe auf dem Karakorum- Highway ist die Fahrt durch den Hunza- Karakorum. Schneebedeckte Gipfel in greifbarer Nähe, Gletscher die bis an die Straße reichen, unzählige ins Grün der Felder und Bäume eingebettete Dörfer. Vor allem der Anblick des Rakaposhi ist unvergesslich. Mit 7788 Metern Höhe ragt er 5000 Meter weit über dem Hunzatal in den azurblauen Himmel hinaus.

Kurz hinter Gilgit, Distrikthauptstadt der Northern Areas, verlassen wir den KKH und folgen dem Indus talaufwärts. Der Fluss hat hier eine der gewaltigsten Schluchten der Erde in die Landschaft gegraben. Nördlich von uns türmen sich die Berge des Karakorum, südlich die des Himalaja. In Skardu verlassen wir das Industal und durchqueren den Himalaja über die Deosai- Ebene (ca. 4000 m), wo wir die kälteste Nacht unserer Reise erleben (-7°C). Über das Astor- Valley kommen wir zurück zum KKH und haben von dort Blick zum Schicksalsberg der Deutschen, dem Nanga Parbat, der mit 8125 m der neunthöchste Berg der Welt ist.

Den Barbusarpass (4200 m) können wir aus Zeitgründen nur noch per Jeep erklimmen, die Straße ist so schlecht dass wir für die 35 km sicher 3 Tage gebraucht hätten. Aber auch die Abfahrt hinunter ins Kaghan- Valley hat es, zumindest Anfangs, in sich. Doch früher als erwarten haben wir wieder Asphalt unter den Pneus.

Über die Urkräfte der Erde und deren schier unermessliche Gewalt können wir uns ein Bild machen, als wir durch die Region Balakoth fahren. Hier bebte genau 1 Jahr zuvor die Erde und hat unsägliches Leid über die Menschen hier gebracht. Häuser wurden zerstört, Strommasten knickten um wie Streichhölzer, Straßen wurden verschüttet. Wir fahren an unzähligen Zeltstädten verschiedenster Hilfsorganisationen aus aller Welt vorbei.

Um vom Kaghan- Valley hinauf nach Muree (»2200 m) zu kommen, müssen wir nochmals fast 1500 Höhenmeter klettern, ehe wir von dort ohne viel Kraftaufwand bis nach Islamabad rollen, dem Ziel unserer Reise.

Jens-Ulrich Groß, 2006

 

Weitere Infos:

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   Route

   Höhenprofil

 

Statistisches:

Länge der Tour: 1902 km

Start am 1.9.2006 in Naryn, Kirgisien

Ankunft am 2.10.2006 in Islamabad, Pakistan

Höhenmeter: 20044 m

Fahrräder: vom Chemnitzer Hersteller Stein-Bike, ausgerüstet mit einer 14-Gang-Rohloff-Nabe und hydraulischen Scheibenbremsen

Pannen: keine! (nicht mal ein Plattfuß!)

 

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