Fahrradexpedition
Mongolei
1200 km durch die mongolischen Steppen und
Gebirge
August 1984
Autor:
In den
Weiten der mongolischen Steppen
Langsam sinkt der sowjetische Aeroflot-Jumbo
der Erde entgegen. Beinah 10.000 Kilometer sind zurückgelegt, um in das Land
meiner Träume zu gelangen. Bereits als siebzehnjähriger hatte ich meine erste
Abenteuerfahrt als Tramper durch Rumänien und Bulgarien unternommen, kannte die
Tschechoslowakei und Ungarn von Urlaubsfahrten mit meinen Eltern. Damit war aber
auch schon das Territorium für den DDR-"Rucksack-Touristen"
erschöpft. Sowjetunion und Mongolei waren im Normalfall nur als Mitglied einer
offiziellen Reisegruppe oder dienstlich zu bereisen. Touristen, die auf eigene
Faust das Land kennenlernen wollten, erhielten offiziell keine Einreise. Wer
dennoch den staatlichen Zwängen der Reisebeschränkungen entgehen wollte,
zumindest in Richtung Osten, mußte sich etwas einfallen lassen. Während viele
mit einem leichter zu beschaffenden Transitvisum über die Sowjetunion nach
Rumänien vom Wege abkamen, und so "plötzlich und unbeabsichtigt" im
Kaukasus, Mittelasien oder gar am Baikal oder in der Mongolei landeten, ließen
wir uns von einer Fahrradfabrik als Dienstreisende "delegieren", um
neuentwickelte Fahrräder unter extremen Bedingungen zu testen. Auf diesen
"Dreh" kamen vor einigen Jahren mein Bruder
Nach kurzen Zwischenaufenthalten in Moskau
und Nowosibirsk ist die mongolische Hauptstadt Ulan Bator erreicht. Das
Flugzeug durchstößt die Wokendecke und wir schauen erstmals auf das Land herab,
das uns seit Monaten beschäftigt. Was werden die nächsten Tage bringen, wie
werden wir das Klima vertragen, welche Anstrengungen stehen uns bei der
Durchquerung des nur gering besiedelten Landes bevor? Werden wir die Landeskost
vertragen, sind die Mongolen wirklich so gastfreundlich wie in den Büchern
beschrieben? Fragen über Fragen. Um auf das Kommende vorbereitet zu sein haben
wir Bücher gewälzt, Landeskundige befragt, Kontakte zu Einheimischen geknüpft.
Die gründliche Vorbereitung auf diese Fahrradtestfahrt durch die Mongolei war
nicht nur Bestandteil unserer großen Vorfreude, sie war lebensnotwendig, weil
das zentralasiatische Land dermaßen ungewohnte Bedingungen für uns Europäer
bietet, daß ein Fehler in der Vorbereitung ernsthafte Folgen bewirken kann.
Durch die
Steppe
Schon 30 Stunden nach unserer Ankunft in der
Landeshauptstadt sitzen wir auf unseren Fahrradsätteln und fahren westwärts.
Mit von der Partie ist neben den vier deutschen Testfahrern Thomas Epperlein,
Jochen Hartwig, meinem Bruder
Mit dem Ende der befestigten Steppenstraße
beginnen für uns auch Orientierungsschwierigkeiten. Oft zweigen Fahrwege ab,
und nicht immer ist zu unterscheiden, welche die Haupt- und welche die
Nebenspur ist. Sind keine Jurten in der Nähe, deren Bewohner wir nach dem Weg
fragen können, muß der Kompaß weiterhelfen. Karten im Maßstab von 1 : 1.000.000
sind uns nur grobe Orientierungshilfe. Besseres Kartenmaterial war nicht
aufzutreiben und so läßt sich manch umsonst gefahrener Kilometer nicht
vermeiden.
Bei Araten
zu Gast
Geht ein Mongole auf Reisen, so weis er, daß
er in jeder Jurte unterwegs ein gern gesehener Gast ist. Jeder Besuch bringt
Abwechslung und Bereicherung in den eintönigen und harten Alltag der meist
kleinen Jurtengemeinschaften. Reitet man (oder fährt mit dem Fahhrad) an einer
Jurte vorbei, passiert es oft, daß man zu einer Schale Milchtee oder Kumys
eingeladen wird. Man kann aber auch jederzeit ohne Einladung - und ohne
anzuklopfen! - einfach eine Jurte betreten. Dawaa erklärt uns, daß es unhöflich
wäre, in der Nähe einer Jurte zu rasten, ohne die Gastfreundschaft deren
Bewohner in Anspruch zu nehmen. So sitzen wir oft in der traditionellen
Filzbehausung der Araten, wie die mongolischen Viehzüchter genannt werden, um
uns von den Strapazen zu erholen und neue Kräfte zu sammeln. Das Angebot zu
einer Schale Milchtee oder Kumys läßt nicht lange auf sich warten. Mit Kumys,
einem leicht alkoholhaltigem, aus Stutenmilch gegorenem, säuerlichen,
erfrischendem Getränk sind wir etwas vorsichtig. Unser europäischer
Magen-Darm-Trakt reagiert darauf schon bei kleinen Mengen und der Griff zur
Kohletablette ist anfangs nicht zu vermeiden. Milchtee ist eine vernünftige
Alternative. Auf dem Ofen wallen fast 5 Liter Wasser. Das Teelaub, von einem
sogenannten Teeziegel abgebröselt und zerrieben, wird in das Wasser hineingegeben,
dazu noch 2 Liter fettreiche Milch und - zu meinem anfänglichen Entsetzen -
eine Handvoll Salz! Es wird wie Aufwaschwasser schmecken, durchfährt es mich.
Doch ich bin überrascht. Das Salz würzt den Tee angenehm und ergänzt außerdem
unseren Mineralhaushalt. Die fettige Milch bringt Energie. Der Durst wird
gelöscht. Erst als wir den Tee in unsere Trinkflaschen füllen und später kalt
trinken wollen, schüttelt es uns - es schmeckt wie Salzwasser.
Die Jurte hat sich bis heute als Behausung
für die Araten erhalten, weil sie schnell auf- und abzubauen und leicht
transportierbar ist. Interessant sind die Gesetzmäßigkeiten, nach denen eine
Jurte aufgestellt wird: Die Tür zeigt stets nach Süden. Im hinteren Teil der im
Durchmesser fünf Meter großen Jurte ist der Platz des Hausherren. Seine
Blickrichtung bestimmt das Links und Rechts der Jurte. Links, also auf der
östlichen Seite, haben die Frauen ihre Hausgeräte untergebracht. Dort hängt
auch der große, meist lederne Sack, in dem der Kumys vergoren wird. Auf der rechten
Seite, die der Männer, sind Waffen, Sattel und Zaumzeug abgelegt. Die Mitte der
Jurte ist für den eisernen Ofen vorgesehen. Früher loderte dort ein offenes
Feuer. Die Öffnung in der Mitte des Daches dient neben der Tür der Licht- und
Luftzufuhr. Der Schatten der durch diese Öffnung hereinfallenden Sonnenstrahlen
ermöglicht die Zeitbestimmung auf eine Viertelstunde genau. Auf der Wiese steht
ein hölzernes Gestell. Die seitliche Begrenzung, 1,80 Meter hoch, ist aus vier
oder fünf Scherengittern im Kreis zusammengesetzt, dazwischen die Tür. Das Dach
bilden hölzernen Ruten, die auf der Oberkante der Scherengitter lagern und in
einem hölzernen Kranz münden, der von zwei Stützen getragen wird. Zugbänder
geben dem Bauwerk die für die über die mongolische Steppe brausenden Stürme
erforderliche Stabilität. Eine ganze Familie ist beschäftigt, die filzerne
Dachhaut über dem Holzskelett auszubreiten. Nach drei oder vier Stunden, steht
das weiße Rundzelt und ist wohnlich eingerichtet.
Sattelwechsel
Wir rasten auf einer Wiese, groß wie fünfzig
Fußballfelder. Weiter können wir nicht sehen. Zwei Reiter kommen neugierig
näher, sehen unsere Fahrzeuge. Man kennt Fahrräder, aber daß sich jemand damit
auf die Reise begibt, ist neu. Der Drahtesel ist mehr den Kindern als Spielzeug
vorbehalten. Die Neugier ist größer als die Scheu und wir werden mit dem Wunsch
konfrontiert, die Steppentauglichkeit der Zweiräder prüfen zu wollen. Der
Tausch ist schnell perfekt, befristet natürlich. Zwei Fahrräder werden vom
Gepäck befreit, zweien von uns reicht man die Zügel. Der erste schwingt sich in
den Sattel, träge trottet da Tier los. Ich bin der zweite, steige mutig auf und
sitze erstmals in meinem Leben auf einem Pferderücken. Der Vierbeiner unter mir
ist feuriger als sein Kollege und galoppiert los, ehe ich mich gesammelt habe.
Das Tier ist durchgegangen, schießt es mir durch den Kopf und ich will
abspringen. Doch Dawaa schreit noch hinter mir her: "Du mußt die beiden
Stricke nehmen!". Natürlich, die Zügel! Mühsam beuge ich mich nach vorn,
wo irgendwo die "beiden Stricke" baumeln , schnappe sie mir und ziehe
daran. Glücklicherweise bringe ich das Tier in Schritt und weise ihm den Weg.
Plötzlich ist alles so einfach und nur ungern steige ich wieder auf den
Fahrradsattel um. Die etwas wundgescheuerten Hinterbacken spüre ich erst
später.
Auf
historischem Boden
Der Tempelkomplex Erdene Dsuu ist unser
erstes großes Etappenziel. Früh morgens, wir sind nur wenige Kilometer
gefahren, erhalten wir von Einheischen die verheißungsvolle Auskunft: "Ihr
müßt noch über zwei Hügel, dann seht ihr die Stadt schon liegen". Die
Hügel sind zwei hohe Bergrücken, auf die wir die Räder mehrere Stunden lang
teilweise hinaufschieben. Als wir dann am späten Nachmittag auf dem zweiten
"Hügel" stehen, sehen wir die Stadt zwar unten im Tal, ab die Fahrt
dorthin dauert nochmals drei Stunden. Nach 80 Tageskilometern am Ziel
angelangt, wissen wir: Das europäische Entfernungsgefühl kann man im Innersten
Asiens getrost zu Hause lassen, es trügt sowieso.
Das Kloster Erden Dsuu war das erste
Lamakloster auf dem Gebiet der heutigen Mongolei und wurde später zu einem
Tempelkomplex ausgebaut. Es wurde dort errichtet, wo einst die Hauptstadt
Tschingis Khans, der Begründer des sich zwischen dem Schwarzen Meer und dem
Stillen Ozean erstreckenden mongolischen Weltreiches, stand. In der Mongolei
existierten 747 Klöster, in denen 40% der männlichen Bevölkerung als Diener
Buddhas tätig oder besser untätig waren. Eine Bürde für die mongolischen
Viehzüchter, die diese Klöster und deren Insassen zu versorgen hatten. Die
Klöster als Ursache der Armut ansehend, wurden nach der mongolischen Revolution
in den zwanziger Jahren fast alle dieser religiösen Bauten zerstört. Als
einzige noch "arbeitende" Einrichtung der mongolischen Republik
überlebte das Gandankloster in Ulan Bator.
Nahe der heutigen Stadt Karakorum bilden
vier 400 Meter lange Mauern ein Quadrat, das die Tempelbauten und Pagoden des
Klosters umfaßt. Die Mauern sind von 108 Tschirten in gleichmäßigen Abständen
bestückt. Auf dem Gelände entdecken wir Tempelbauten und Pagoden. Tibetanischer
und chinesischer Baustil sind miteinander vermischt.
Im Orchontal
aufwärts
Der im Ostchangai entspringende Orchon ist
uns nun Wegbegleiter und befreit uns von Orientierungsproblemen. Trotz steiniger,
schwer befahrbarer Piste, sengender Hitze und der damit verbundenen physischen
Belastungen registrieren wir begeistert die Landschaft des Flußtales. Auf
saftiggrünen mit Blumen übersähten Wiesen weiden riesige Pferdeherden. Bei
unserem Näherkommen galoppieren die braunen, schwarzen oder weißen Tiere
aufgeregt davon. In der prallen Sonne bringen die Jurten ihr strahlendes Weiß
zur Geltung. Die grünen Berge der Ausläufer des Ostchangais umrahmen das Tal
mit seinem tiefblauen Fluß. Zwei Tage kämpfen wir uns das Tal aufwärts und
stehen dann am Orchonwasserfall, wo das Wasser 26 Meter in die Tiefe stürzt und
nun in einen Canon gepreßt wird, das sich der Fluß im Verlaufe von
Jahrtausenden in das vulkanische Basaltgestein gegraben hat. Das Wasser des
Flusses gelangt über die Selenga in den Baikalsee und von dort über Angara und
Jenissei ins Nordpolarmeer. Läge die Quelle des Orchons nur 50 Kilometer weiter
südlicher, sein Wasser würde in einem abflußlosen innerasiatischen Becken
verdunsten. Das Changai ist eine kontinentale Wasserscheide.
Im
Sambowettkämpfe in Cecerleg
Wir verlassen das Orchontal, überqueren bis
zu 2200 Meter hohe Pässe des Orchon-Selenga- Berglandes und erreichen Cecerleg,
die Hauptstadt des Archangai-Aimaks (Bezirk). Regenwetter, schlammige Wege und
zahlreiche Flußdurchquerungen bringen uns einige Tage Planverzug. Brücken über
die Flüsse finden wir in den seltensten Fällen. Nur wenn der Fluß tief und
reißend und keine Furt in der Nähe ist, die den LKWs eine Durchfahrt
ermöglicht, hat man sich zum Bau einer Brücke entschlossen. So heißt es für uns
oft, Socken und Schuhe auszuziehen, die Hosen hochzukrempeln und durch das
kalte Wasser hindurchzuwaten. Es ist zeitraubend.
Zu den Sambowettkämpfen, zu denen wir von
einer Cecerleger Sportgemeinschaft eingeladen sind, kommen wir gerade noch
rechtzeitig. Sambo gehört zu den "drei Spielen der Männer", zu den
drei mongolischen Nationalsportarten Ringen (also Sambo), Reiten und
Bogenschießen. In spannungsvoller Erwartung versammeln sich am Sonntagmorgen Zuschauer,
Wettkämpfer und Schiedsrichter im cecerleger Sportstadion. Dem Kampf stellen
sich zehn Ringer. Entsprechend des Brauches ahmen die Kontrahenten vor dem
Kampf den Flug des Adlers nach. Dessen Kraft soll in die Streiter übergehen und
so zum Sieg verhelfen. Als der erste Kampf losgeht, geht erst mal gar nichts
los. Unbeweglich verharren die beiden Kämpfer, sich gegenseitig leicht umfaßt
und belauern sich mißtrauisch. Bis zu zehn Minuten soll dieses
"Still-Leben" mitunter dauern, ehe der Erste überraschend versucht,
sein Gegenüber in die Knie zu zwingen. Verlierer ist der, der mit dem Knie oder
einem darübergelegenen Körperteil den Boden berührt. Etwas erschrocken schauen
wir, als an uns die Aufforderung kommt, einen Vertreter für den Ehrenkampf zu
stellen. Die Wahl fällt auf meinen Bruder Thomas. Er ist der Kräftigste unter
uns Radfahrern. Als hätte er nie etwas anderes gemacht, hebt er zum Adlerflug
seine Arme in die Waagerechte. Wenn auch nicht den Sieg so doch große Sympathie
und Anerkennung konnte sich Thomas bei den Zuschauern und Aktiven erringen. Er
mußte sich zwar letztendlich geschlagen geben, doch der Kampf war einer der
längsten des Tages.
Gut sahen er und seine Ringerkollegen aus in
der traditionellen Ringerkleidung. Die schwarzen, bis unter das Knie
reichenden, weichen Lederstiefel, die Jacke und die Hose sind buntbestickt. Die
Jacke bedeckt zwar den Rücken, doch Brust und Bauch bleiben frei. Ist sie knapp
bemessen, um dem Gegner keine günstigen Griffmöglichkeiten zu bieten? Es soll
andere Gründe haben: Als Ende des letzten Jahrhunderts in Urga, dem heutigen
Ulan Bator, bei einem der jährlich stattfindenden Nadam-Feste sich bei den
Sambowettkämpfen eine Frau unter die Kämpfer gemischt hatte und sie wegen ihrer
ungewöhnlichen Stärke als Sieger hervorging, war das eine kaum
wiedergutzumachende Schmach für die Männerwelt. Daraufhin wurde eine Teilnahme
von Frauen unterbunden: Die Jacke der Ringer mußte fortan den vorderen
Oberkörper frei lassen. Damit man sieht, mit wem man es zu tun hat.
Naturschauspiel
Wir verlassen Cecerleg, fahren an der
Nordflanke des Changai-Gebirge westwärts. Die mongolischen Steppenpisten
erweisen sich, nicht zum ersten Mal, als schlechter befahrbar, als das von zu
Hause einzuschätzen war. Steinige, schlecht befahrbare Pisten hindern uns an
einem zügigen Vorwärtskommen. Berg und Tal wechseln sich in kräftezehrender
Weise ab. Der Wettergott meint es nicht gut mit uns. Gegenwinden können wir nur
mit Mühe trotzen. Windspitzen zwingen uns oft aus dem Sattel oder gar zum Schieben.
Der Himmel ist von grauen, schweren Wolken bedeckt. Schließlich braut sich
Unheilverkündendes über unseren Köpfen zusammen. "Zelte aufbauen!"
ruft einer. Die einzig richtige Entscheidung kam zu spät. Der Himmel öffnet
seine Schleusen, Hagelkörner prasseln auf unsere halb aufgebauten Zelte herab.
Ehe wir unser Gepäck und uns selbst in die drei kleinen Bergzelte einschichten
können, sind wir naß bis auf die Haut. Als wir endlich gemütlich in den
Schlafsäcken liegen, läßt das Unwetter nach. Das Grau des Himmels löst sich auf
und plötzlich scheint auch die Sonne wieder. Um uns herum eine Pracht
glitzernder Regentropfen in den vor Nässe triefenden Bäumen und Wiesen. Die
Berge auf der Gegenseite des Tales leuchten im Rot der untergehenden
Abendsonne. Ein doppelter Regenbogen vervollständigt das Naturschauspiel. In
der Hoffnung auf Wetterbesserung für die nächsten Tage krabbeln wir zurück in
die Zelte, die wir zum Fotografieren verlassen hatten.
Im
Chorogin-Naturschutzpark
Wir bleiben auf der Nordseite des Changais.
Der Egin-Dawaa-Paß, auf dem wir auf die Südseite gelangen wollen, ist wegen
Schlechtwetter unpassierbar. So erreichen wir den Chorogin-Naturschutzpark,
Gelegenheit für uns zu einem Ruhetag. Wir schlagen unsere Zelte am fischreichen
Tariatinfluß auf. In der Nachbarschaft riesige schwarze Gesteinsfelder - Lava,
die sich vor ca. 250 Jahren aus dem nahegelegenen Vulkan ergossen hatte. Der
Fluß hat den glühenden Gesteinsstrom scheinbar gehemmt, denn an seinem Ufer
endet das Lavafeld abrupt in einer drei Meter hohen Stufe.
Der Ruhetag bringt vor allem den Fahrrädern
Ruhe. Wir erholen uns aktiv. Zu Fuß nehmen wir den Corogin-Togo, den
Vulkangipfel in Angriff. Am Rande des Lavafeldes entlang wandern wir zum Fuß
des Kegels. Die Besteigung des Kraters über das leichte, lockere
bimssteinähnliche Geröll ist beschwerlich. Der Untergrund gibt nach, rutscht
unter unseren Füßen nach unten und so müssen wir manchen Schritt mehrmals
machen. Erschöpft stehen wir danach auf dem schmalen Kraterrand. Mein erster
Vulkan ist bezwungen. Die Aussicht entschädigt die für die reichlichen Mühen.
Der Kegelgipfel ist von riesigen schwarzen Lavafeldern umgeben, deren bizarre
Gleichmäßigkeit nur von wenigen Baumgruppen und dunklen Wassertümpeln
unterbrochen wird. Die geotektonischen Vorgänge dieser Gegend ließen auch den
nahegelegenen Terchin Zakaan Nuur - den Weißen See - entstehen, der seine
Schönheit unseren Blicken preisgibt. Der Kratergrund ist jedoch zu meiner
Enttäuschung mit Geröll gefüllt. Beim letzten Ausbruch wurde der Schlot mit
einem erkalteten Magmapfropfen verstopft. Das finstere, endlose dämpfespeiende
Loch existierte nur in meinen vorherigen Vorstellungen.
Owoos
Auf der Fahrt über die weitläufigen Steppen
und Berge des Landes stoßen wir oft auf von Menschenhand pryramidenförmig
aufgetürmte Steinhaufen. Meist sind diese sonderbaren Bauten an Weggabelungen
oder Pässen zu finden. Es sind Owoos, lassen wir uns von Dawaa aufklären. Sie
werden als Opfergabe für die Gottheit der Gegend errichtet. Dieser Brauch
stammt noch aus Zeiten vor dem Lamaismus, als noch Schamane und Dämonen die
Glaubenswelt der Mongolen bestimmten. Ein Owoo besteht vor allem aus Steinen,
ist oft aber auch mit anderen Gegenständen wie Stoffetzen, Münz- oder
Papiergeld, Streichhölzern, Zweigen, Schädelknochen von Tieren und anderen
Dingen bestückt. Erreicht der Reisende einen solchen Owoo, ist das Ablegen
eines Gegenstandes auf diesen obligatorisch. Die Wahl des Gegenstandes ist
unkompliziert: den Stein muß man nicht von zu Hause mitbringen, die Ortsgottheit
ist mit einem in der Nähe liegenden zufrieden. Auch Dinge, die man gerade bei
sich hat (und vielleicht loswerden will) dienen dem Kult. Auf einem der Owoos
fanden wir eine alte Autotür. Letzteres zeigt wohl, daß nicht mehr jeder den
Brauch ernst nimmt.
Murmeltierbraten
Unterwegs lernen wir einen LKW-Fahrer
kennen. Als er unser Interesse spürt, lädt er uns zur Murmeltierjagd ein. Diese
leben in den mongolischen Steppen in recht großer Zahl. Täglich liefen uns
einige über den Weg. Gespannt beobachten wir den Hobbyjäger. In 20 bis 30
Metern Entfernung zum Ausgang eines Murmeltierbaues wartet er mit schußbereiter
Waffe, die er unterm Autositz versteckt hatte. Murmeltiere sind neugierige
Wesen und lassen sich mit Rufen oder Wedlen eines hellen Tuches aus dem Bau
locken. Die Neugier wird hart bestraft. Für den Schützen ist der Rest kein
Problem.
Krönung des Tages: die Zubereitung zwecks
"Festmahl": Dem Tier wird vorsichtige das Fell abgezogen, ohne es
dabei zu verletzten. Das Fleisch sowie Herz und Leber werden von Knochen und
Eingeweiden getrennt in das Fell zurückgelegt, In diesen Fellsack steckt man
außerdem drei oder vier faustgroße Steine, die vorher in einem Holzfeuer
erhitzt werden. Der Sack wird schnell mit einem Draht fest verschlossen.
Nachdem auch noch die beiden Löcher der todbringenden Kugel mit Holzpfropfen
verschlossen wurden, bläht sich dampfend und zischend der zum natürlichen
Schnellkochtopf werdende Fellsack infolge der inneren Hitze beängstigend auf.
Als dieser noch, um den Garprozeß zu beschleunigen, in das Feuer hineingelegt
wird, bekomme ich Bedenken. Wann platzt das Fell und haut es dir die Fetzen um
die Ohren? Doch es versengt nur, die Haut widersteht dem inneren Druck und dem
Feuer von außen. Nach einer Viertelstunde wird der immer noch dichte Fellsack
aus dem Feuer geholt und geöffnet. Jedem wird feierlich ein Stück (fast gares)
Fleisch gereicht. Über Geschmack läßt sich streiten. Während die anderen
reinhauen, vielleicht nur aus Höflichkeit, halte ich mich zurück. Der dem
Steppenwild eigene und der des rauchigen Feuers ist unverkennbar. Nur die
Raritäten Leber und Herz überzeugen mich.
Endstation
in Toson Cengel
Die folgenden Tage bringen uns Regen, Regen,
nichts als Regen. Wir sind zu längeren Aufenthalten in Jurten oder im Zelt
gezwungen. Die unbefestigten Steppenpisten sind aufgeweicht, kaum befahrbar,
kräftezehrend. Die Fahrradtechnik verdreckt mehr und mehr. Ein Wunder, daß sich
da noch was dreht. Seit dem Start in Ulan Bator sind wir 2½ Wochen unterwegs,
als wir die Stadt Toson Cengel erreichen. In der Nähe von Uliastai, knapp 1000
Pisten-Kilometer westlich der mogolischen Hauptstadt wohnen Dawaas Verwandte,
die auf unser Kommen warten. Sie wollen mit uns ein Schaf schlachten und eine
Exkursion zum Otgon Tengri unternehmen, höchster Berg des Changais. Um Zeit zu
sparen, wollen wir noch ein Stück per Flugzeug ins Landesinnere eindringen.
Doch auch dieses Vorhaben verhindert der Regen. Die Rollbahn des Feldflughafens
ist aufgeweicht, der Flugverkehr eingestellt. Nach weiteren vier Tagen zermürbender
Warterei auf Wetterbesserung können wir endlich in eine AN 24 steigen. Doch das
Flugzeug bringt uns zurück nach Ulan Bator. Die Zeit war inzwischen zu knapp
geworden, um unser Ziel zu erreichen.
Im
Gandan-Kloster
Die lamaistische Religion ist für mich und
meine bisherigen Reiseerlebnisse zwischen DDR und Bulgarien eine neue Welt.
Bisher kaum etwas darüber gesehen oder gelesen, stehe ich nun im letzten
Kloster der Mongolischen Volksrepublik, wo noch der lamaistische Tempeldienst
durchgeführt wird. Zwischen den im tibetanischen und chinesischen Stil
errichtete Bauten laufen zwei Mönche in gelben Gewändern und Mützen. Sie tragen
einen dunklen Edelholzbalken, klopfen im Takt darauf. Ihre dadurch aufgerufenen
Mönchskollegen versammeln sich im Gebetshaus. Bald darauf dringen
Trompetenstöße, Glockengeläut und Gongschläge aus dieser Richtung an unser Ohr.
Wir trauen uns hinein und treten neugierig näher. Kahlköpfige Lamas sitzen auf
langen Holzbankreihen, trinken Kumys, kauen Gebäck, murmeln im Chor ihr "Om
mani padme Hum", eine heilige Gebetsformel. Stundenlang läuft diese uns
eintönig erscheinende Zeremonie ab.
Draußen im dem Klostergelände beobachten wir
Einheimische beim Beten. Die einen beten rationell: Sie laufen an in vier Reihen
übereinander an der Wand befestigten Gebetsmühlen vorbei und versetzen in fast
wilder Hast die drehbar gelagerten Blechzylinder in schnelle Rotation. Zettel
mit Gebetstexten kleben auf den Mühlen oder die Texte sind ins Blech
hineingraviert. Jede Umdrehung kommt dem Sprechen des Gebetes gleich. So hat
der Gläubige in wenigen Minuten viele Hundert Gebete zu seinem Gott gesendet.
Andere liegen flach auf Gebetsliegen vor übermannshohen, buntbemalten
Buddastatuen. Sie hocken sich hin, strecken die Hände gen Himmel, stoßen kurze
Gebete aus und legen sich wieder lang hin. In der Minute fünf oder sechs mal.
Im Vergleich zum "Mühlenbeten" recht anstrengend.
Epilog
Unseren Plan, die Mongolei auf reichlich
eineinhalb Tausend Kilometern Steppenpiste zu durchquerern, konnten wir nicht
umsetzen. Das feuchte Wetter sorgte dafür. Doch auch die unbefestigten
Steppenpisten haben wir unterschätzt. Sie lassen ein schnelles Vorwärtskommen
nicht zu. Will man täglich 80 Kilometer auf Ihnen zurücklegen, wird die Tour
zur Bolztour, Zeit zum Fotografieren, für Kontakte zu Einheimischen, Zeit
einfach für das Kennenlernen des Landes bleibt dabei nicht. Doch diese Zeit
haben wir uns auf Kosten des Nichterreichen unseres Zieles genommen.
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