Als Tragwerksplaner bin ich für die Standsicherheit eines Gebäudes verantwortlich. Schwierig wird es, wenn bei einem Umbau eines vorhandenen Gebäudes in die Tragstruktur massiv eingegriffen wird. Die vorhandene Bausubstanz bringt zu viele Zwangspunkte mit sich, die eine einfache Lösung oft nicht zulassen.

Als ich zum ersten Mal die Entwürfe zum Umbau des Feinkosthauses studiere und versuche, die vielen gewünschten Änderungen in der Tragwerksstruktur zu erfassen, spüre ich förmlich die gespannten Blicke von Bauherrn und Architekten auf mir ruhen. An einer Stelle werde ich besonders nachdenklich und frage vorsichtshalber noch mal nach: „Alle vier?“ Die Antwort ist eindeutig: Vier tragende Mittelstützen sollen der diamantenbesetzten Betonsäge zum Opfer fallen, um den Wünschen des künftigen Mieters nach einer freizügigen Nutzfläche nachzukommen. Als Tragwerksplaner stehe ich nun vor dem Problem, Wirtschaftlichkeit, Sicherheit, Technologie und Vorschriften sowie die Vorstellungen von Bauherrn, Mieter und Architekten unter einen Hut zu bringen. Ganz „nebenbei“ sind dabei noch die physikalischen Gesetze der Gravitation zu beachten. Auf den störenden Stützen lastet immerhin eine Kraft von 40 Tonnen, also ungefähr ½ Lokomotive. Diese Last so umzuleiten, dass auch ohne Stützen die 40 Tonnen sicher in den Baugrund „umgeleitet“ werden, ist nicht nur Job des Tragwerksplaners, es ist eine echte Herausforderung. Ein Prozess des Rechnens, Planens, Zeichnens und Abstimmens beginnt, ehe eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung gefunden wird. Heute übernehmen gewaltige Eisenträger, die selbst je 4 Tonnen wiegen, die ursprüngliche Funktion der Stützen und wuchten die Lasten über eine Spannweite von acht Metern zu den angrenzen Wänden, die durch Pfeiler verstärkt wurden.

 

Jens-Ulrich Groß

Euba Stadt Chemnitz