SPRINT- Sportrad im Hochgebirgstest
"Immer einen Daumen breit Luft
unter der Felge" - mit diesem wenn auch noch nicht üblichen Spruch für
Fahrradfahrer wurden wir auf die Reise geschickt. Man wünschte uns also eine
Fahrt ohne Pannen. Wir, ehrenamtliche Fahrrad- Testfahrer und Sportler der HSG
TH Ilmenau, und die Konstrukteure des VEB MIFA-Werk Sangerhausen dachten
allerdings etwas anders, so absurd das auch zunächst klingen mag: Eine
Testfahrt ohne Pannen ist keine Testfahrt! Die Schwachstellen sollen bei einer
solchen praktischen Bewährungsprobe gefunden werden. Und so gab und gibt es nur
eine Devise: übernormal hohe Beanspruchungen der Fahrräder bei extremen
Fahrbedingungen.
Es war nicht die erste Testfahrt, die
im Auftrag des DDR- größten Fahrradproduzenten durchgeführt wurde. Seit 1979,
mit Fahrten durch Ukraine, Kaukasus, Mongolei und Mittelasien, tastete man sich
an die Belastungsgrenze heran. Die Fahrten wurden beschwerlicher,
anspruchsvoller, härter - für Technik und Pedaleure gleichermaßen. Das 80-jähriges
Betriebsjubiläum des MIFA- Werkes war für uns Anlaß und Ansporn zu einer Fahrt
mit besonders hohen Zielen: Die 6. MIFA- Testfahrt sollte die längste sein und
außerdem am höchsten hinauf führen.
Schon seit Herbst des Vorjahres reifte
der Plan zur "Hochgebirgs- Fahrradtest- Expedition" . Kartenmaterial,
Briefwechsel mit einheimischen Freunden und die Erfahrung aus vergangenen
Fahrten halfen uns, eine Route zu wählen, die unseren gesteigerten Ansprüchen
an diese Testfahrt genügte. "Von Duschanbe nach Alma-Ata - aus eigener
Kraft!", unter diesem Motto bereiteten wir unser großes Unternehmen vor.
Noch bevor wir auf die Reise gingen, war uns eines klar:
Die von uns gewählte Route über Hochgebirgspisten des Pamir und Tienschan
stellte nicht nur an uns Fahrer, sondern auch an die Fahrradtechnik höchste
Anforderungen. Doch das war ganz nach dem Geschmack der MIFA-Konstrukteure:
"Auf vielen Hundert Kilometern unbefestigte Straßen, das bei ständigem Auf
und Ab, dazu die Gepäcklast. Das waren extreme Testbedingungen,
Beanspruchungen, die einem Mehrfachen des Normalen entsprachen." Wir
hatten es so gewollt und gingen auf die Reise - voller Optimismus und Elan.
Am 1. August 1987 war die Zeit der umfangreichen
Vorbereitungen vorbei. Wir, Dr. Lutz Gebhardt und Jens-Ulrich Gross, starteten
zur 6. MIFA-Testfahrt durch Mittelasien. Für Lutz, Elektroingenieur und
Sektionsleiter der Radwandersportler der HSG TH Ilmenau, war es bereits das
dritte Mal, daß er MIFA-Technik testete. Auch Jens, Karl-Marx-Städter
Bauingenieur, war schon mehrmals für MIFA unterwegs, das erste Mal 1984 in der
Mongolei. Auf der 86'er Testfahrt, die von Duschanbe nach Samarkand und Buchara
führte, hatten wir uns gründlich kennengelernt. Das erwies sich als besonders
wichtig, da sich wenige Tage vor dem Start endgültig herausstellte, daß unser
dritter Mann, Thomas Gross, Gründungsmitglied des MIFA-Testteams, ausfällt.
Zwei Mann, Tag für Tag, vier Wochen lang gemeinsam jeden Schritt, jeden Pedalentritt, gemeinsam jede Beutelsuppe
auslöffeln, schöne und harte Stunden verbringen, kämpfen oder ausruhen - auch
wenn wir uns gut verstehen, zur physischen kam eine erhöhte psychische
Beanspruchung hinzu.
Bis nach Duschanbe, Hauptstadt
Tadschikistans, brachten uns INTERFLUG und AEROFLOT. Doch dann ging es, gemäß
unserem Motto, "aus eigener Kraft" weiter, zunächst in Richtung Osten
zum Pamir.
Es war heiß an diesem Sonntagvormittag. Die
"durchgemachte" Reisenacht und noch ungewohntes Klima ermüdeten
unsere Muskeln recht schnell. So war es uns mehr als willkommen, als wir die
erste von vielen Einladungen zum Kok Tschai - zum grünen Tee - erhielten.
Einige Tadshiken saßen unweit der Straße auf der landesüblichen mit Decken
belegten Tachta - einem bettartigen Holzgestell - und winkten uns heran. Im Nu
hatte uns das orientalische Milieu eingefangen und wir schlürften aus den Pialen,
den henkellosen Tassen, das aromatische heiße Getränk. Nicht nur der
Schneidersitz, auch die russische Sprache machte uns zunächst einige
Eingewöhnungsschwierigkeiten. Wir hätten beides wohl in der Zeit seit der
letzten Fahrt etwas üben sollen. Frisch aufgetankt mit Plow, einem tadshikisch-usbekischen
Nationalgericht, Tomatensalat und Tee trennten wir uns von denen, die uns nicht
nur Wirt, sondern auch Freunde wurden. Die Einladung zur übernachtung schlugen
wir höflich aus: " U nas marschrutni plan" als Worte der Erklärung
reichten später nicht immer aus, um weiterziehen zu dürfen, ohne die
gastfreundlichen Menschen zu verletzen.
Durch die Täler der Flüsse Wachsch und Surchob, die die
nördliche Grenze des Pamirs bilden, gelangten wir ostwärts. Mühsam kämpften wir
uns alle Anstiege hinauf, noch vom Gedanken beseelt, jeden Meter bis Alma-Ata
fahrend - keinen schiebend zu bewältigen. Hatten wir mühsam einen Berg
erklommen, war die Abfahrt auch nicht gerade Erholung. Der Asphalt war infolge
mittelasiatischer Hitze so gewellt, daß oft Schneckentempo zweckmäßig war.
Frühjahrsschmelzwasser, vielleicht auch Erdbeben, sorgten ein manches Mal für
Schotterstrecken. Der Asphalt lag unter meterdicken Geröll verschüttet. An
solchen Stellen mußten wir nicht nur kräftig in die Pedalen treten, sondern
auch den von LKWs reichlich aufgewirbelten Staub in Massen schlucken. Hätten
wir geahnt, daß wir später noch über hunderte Kilomter lange Abschnitte solcher
Qualität fahren mußten - es wäre ein erschreckender Gedanke gewesen, aufgegeben
aber hätten wir nicht! Extreme Fahrbedingungen sind schließlich Voraussetzung
für eine Fahrrad-TEST-Expedition.
Bald nach dem Zusammenfluß von Kysylsu
und Muksu hörte der Asphalt auf. Das Gebirge, links der Alai-, rechts der
Transalaikamm, rückte immer näher zusammen. Durch das enge, klammartige Tal
schäumte der Fluß. Kaum vorstellbar, daß dort noch eine Straße entlang führen
kann. Jeden Moment glaubten wir, an deren Ende angelangt zu sein. Auch die
Qualität der Straße sprach dafür.
Das Tal wurde so eng, daß die Piste
seitwärts ausweichen und über einen Seitenarm des Alaikammes führen mußte - der
erste 3000er Paß, genau auf der tadshikisch-kirgisischen Unionsgrenze. Wieder
in Flußhöhe angelangt, änderte sich die Talform faßt abrupt. Die Berge traten
zurück, ließen Platz für ein 15 Kilometer breites Tal. Kein auf und ab mehr !
Erholungsphase ? Nein! Waschbrettmuster auf der trockenen, staubigen Piste
sorgte für neue Unannehmlichkeiten. 50 Kilometer bis Daraut Kurgan, der leichte
Rückenwind war nur ein schwacher Trost !
Müde von den Strapazen bauten wir unser Zelt auf. Harter
Lehmboden, kein Wasser in der Nähe, rasch einsetzende Dunkelheit - die
Unannehmlichkeiten nahmen wir schweigend in Kauf - sonst hätten wir beim
Reisebüro buchen müssen.
10 Kilometer hinter Daraut-Kurgan
verließen wir das Alaital und durchquerten ein Dorf am Fuße der Alaikette.
Gerade noch angenehm von der Morgensonne beschienen, tauchten wir in kühlen
Schatten ein. Das schmale enge Tal ließ die Sonne nicht auf seine Sohle
scheinen. Doch ins frieren kamen wir nicht. Stetig führte die Schotterstraße
nach oben. Unser Ziel, den Tengis-Bei-Paß durchgehend fahrend zu überqueren,
mußten wir bald aufgeben. Es war nicht die Steilheit, sondern der weiche,
lockere Belag des Weges, der ein Fahren an vielen Stellen trotz größter
Kraftanstrengung unmöglich machte.
Nach zwei Stunden weitete sich das Tal
und gab den Blick auf die 4000er Gipfel der Alaikette frei. Mit unseren Augen
verfolgten wir den weiteren Weg: Neben einem munter dahinplätschernden Bach
führte sie noch fast flach dahin. Doch schon nach 1000 Metern verließ sie dann
das Tal und schlängelt sich an einer steilen Bergflanke in vielen engen
Serpentinen nach oben. Wir nutzten die letzte Gelegenheit, uns bei kirgisischen
Hirten für das schwere Stück Weg ordentlich zu stärken.
Mit neuen Kräften traten wir den schwersten
Teil der Tour an. Mit der kleinsten Übersetzung kämpften wir keuchend die
Serpentinenstraße aufwärts. Mühsam wichen wir dem Geröll aus, das die Straße
reichlich bedeckte. An den Spitzkehren standen wir in den Pedalen, zerrten am
Lenker. Ein manches Mal ging’s einfach nicht weiter, wir mußten absteigen. Auch
die dünne Luft machte uns mehr und mehr zu schaffen. Doch der Blick nach oben,
dort wo unser Paß für uns noch nicht
sichtbar lag, verlieh uns immer wieder neue Kräfte.
Dann standen wir an einer Stelle,
glaubten fast oben zu sein, und mußten verschnaufen. Der Blick tief ins Alaital
verriet uns, was wir an diesem Tag bereits für enorme Kletterarbeit geleistet
hatten. Hinter dem Tal, im Süden, lag der Transalai - 6000er Pamirberge, weiß
bedeckt. Weiter östlich, im Dunst, machten wir das Massiv des Pik Lenin aus, mit 7134 Metern der
zweithöchste Gipfel des Pamirs.
Schweren Herzens rissen wir uns von
dem Panorama los und drehten uns wieder gen Norden, traten oder schoben weiter.
Die Straße führte an mächtigen Berghängen durch den zentralen Alai, schlängelte
sich in vielen Windungen durch die Bergwelt. Welch eine Meisterleistung, hier
einen Weg in das Gebirge zu sprengen. Später Nachmittag. Vom eigentlichen Paß
war immer noch nichts zu sehen. Wir
mußten noch vor Anbruch der Dunkelheit raus aus diesem Gewirr von Fels,
Stein und Geröll, das kein Platz fürs Zelten ließ. Aber es half nichts. Wir
waren derart abgekämpft und ausgehungert, daß wir eine größere Pause einlegen
mußten. Kocher anwerfen und Essen zubereiten, es kostete einige Überwindung.
Doch heißer Hagebuttentee und mit Zwiebel gebratene Salami ließen die Kräfte
wieder zurückkehren.
Währenddessen verfolgten wir besorgt
die Wetterentwicklung. An einem Gipfel, keine drei Kilometer von uns entfernt
schien es zu schneien. In dicke Wolken war er eingehüllt, Blitze zuckten. Auf
dem letzten Stück zum Paß mußten wir zwar zum ersten Mal seit neun Tagen die Regenbekleidung
rausholen, vom Unwetter blieben wir jedoch verschont.
Schließlich war es dann so weit. Der
Tag ging schon seinem Ende entgegen, als die Straße in einem großen Bogen noch
einmal steil aufwärts führte. Ein letztes Mal mußten wir kräftig in die Pedalen
treten und schließlich wieder schieben, dann standen wir mit unseren Fahrrädern
auf unserem Paß - dem Tengis-Bei - in
3657SMeter Höhe. Unsere Herzen schlugen nicht nur von
der Anstrengung, die Augen waren nicht nur vom scharfen Wind feucht. Wir hatten
unser großes Ziel erreicht, haben einen neuen DDR-Fahrrad-Höhenrekord erkämpft
!
In der Abendsonne schossen wir schnell
noch unsere "Paß-Fotos" - mit Selbstauslöser, denn wir waren weit und
breit die einzigen Menschen. Danach ging es abwärts. Tief unter uns lag ein
malerisches Flußtal, eingebettet von felsigen Gipfeln. Eine große Wiese für
unser Zelt dehnte sich zu beiden Seiten des Flusses - das Tagesziel.
Als wir unser Zelt aufbauten, war die
Sonne verschwunden, nur die Spitze der Gipfel leuchteten noch im Rot der
untergehenden Sonne. Es wurde empfindlich kühl. Müde und kraftlos, aber
glücklich über die absolvierte Leistung, krochen wir in die Schlafsäcke.
Am nächsten Morgen war unser Zelt beim
Einpacken steif vom gefrorenen Schwitzwasser. Auch die Fahrradsättel waren von
einer Raureifkruste überzogen. Kein Wunder, wir befanden uns noch in über 3000
Meter Höhe.
Die Abfahrt begann in Mütze, Halstuch
und Handschuhen. Minus drei Grad zeigte das Thermometer noch an. Als uns später
die Sonne angenehm durchwärmte, bekamen
wir neue Sorgen: Die Straße war zu Ende ! Allerdings hatten uns DDR-Alpinisten,
die die Gegend kannten, auf die folgenden 10 Kilometer bereits zu Hause
vorbereitet: Durch die gewaltigen Felsbrocken hindurch schlängelte sich
lediglich ein Viehtriebweg, für Fahrräder selbst zum Schieben ungeeignet.
Mit den schwersten Gepäckstücken im
Rucksack auf dem Rücken, das Fahrrad so weit wie möglich entlastet, begann die
mehrstündige Plackerei. Wir bugsierten die Fahrräder über Steine, zwängten uns
neben oder hinter ihnen zwischen Felsen durch. Manchmal bewegten wir uns
vorsichtig, um ja mit heilen Knochen unten anzukommen, manchmal steigerten wir
das Tempo, denn wir wollten die Plackerei so schnell wie möglich hinter uns
haben. Die malerische Schlucht beachteteten wir viel zu wenig.
Höhepunkt des riskanten Abstieges war
eine Flußdurchquerung. Hochwasser hatte
die Brücke weggespült, unser Weg ging am anderen Ufer weiter.
Ein Zurück gab es für uns nicht. Das
Wasser war tief und reißend. Die Hosen über die Knie, Socken aus, die Schuhe
wieder an, und der Erste nahm den Fluß in Angriff. Den schweren Rucksack auf
dem Rücken tastete er sich vorwärts, Schritt für Schritt. Das Wasser wurde
tiefer, die Trainingshosen naß. Die Strömung drohte die Füße wegzureißen. Was
wäre, wenn ...? Nicht auszudenken. 50
Meter flußabwärts die Mündung in den Isfairam Ssai, wen es dort hineinspülte,
der war verloren.
Wir schafften es beide, den Flusz
wohlbehalten zu durchqueren. In je zwei Gängen brachten wir Fahrrad und Gepäck
auf die andere Seite.
Bald wurde der Weg besser. Wir konnten unsere Räder
wenigstens ordentlich schieben, später auch stellenweise wieder fahren. Die
Alai-Überquerung war geschafft. Durch das Tal des Isfairam Ssai gelangten wir
schließlich ins Fergana-Becken, das in 300 Meter Höhe über dem Meeresspiegel
liegt. 48 Stunden vorher standen wir noch mehr als 3000 Meter höher, neben
Schneefeldern in eisiger Kälte. Die folgenden zwei Tage Fahrt durch das
schwül-heiße Ferganabecken standen im krassen Gegensatz dazu.
Als wir Fergana erreichten, war die
Hälfte der Fahrzeit um, aber über zwei Drittel der Strecke lagen noch vor uns.
Die extremen Bedingungen der Hochgebirgspisten im Surchob- und Kysylsutal und
bei der Alaikamm-Überquerung hatten uns einige Tage Planverzug gebracht.
Wieder lenkten wir unsere Stahlrösser
einem 3000er Paß entgegen. Dem Ala-Bel-Paß im Tienschangebirge galt unser neuer
Ehrgeiz. Als wir dann auf 3218 Meter Höhe standen, hatten wir uns jeden
Meter fahrend aufwärts gekämpft, seit
dem Ferganabecken.
Unser letzter großer Paß-Sieg wurde
mit einer allmählichen Abfahrt über eine der typischen Tienschan-Hochebenen
belohnt. 8o Kilometer fast nur abwärts, zu beiden Seiten der Straße saftige
Weiden, Pferdeherden, vereinzelte Jurten. Die Ebene wurde von schneebedeckten
Viertausendern weiträumig umsäumt.
Vor dem Tjus-Aschu, einem weiteren 3000er Paß, bogen wir
ostwärts ab. Nach mehreren 120-Kilometer-Etappen standen wir schließlich am
Issyk Kul, dem "Meer in den Himmelsbergen", in 1609 Meter Höhe.
Erstaunt blieben wir stehen. Uns hatte
gerade jemand auf deutsch angesprochen ? "Seid ihr Deutsch Mann ?",
stellte man uns nochmals die Frage. Wir bejahten verblüfft und lösten damit bei
dem kirgisischen Melonenverkäufer einen vor Freude überschäumenden Wortschwall
aus, so daß sich ihm die Worte schon auf der Zunge überschlugen und wir
überhaupt nichts mehr verstanden. Vom Weiterfahren konnte nicht mehr die Rede
sein. Wir mußten uns setzen und wurden bewirtet, während unser Freund erklärte,
wie glücklich er ist, uns getroffen zu haben. Er sei ein Freund der deutschen
Kultur und Sprache und liebe die deutschen Menschen. Er konnte es gar nicht
fassen, hier, mitten im asiatischen Hochgebirge, Deutsche zu treffen, die mit
ihrem Fahrrad einfach dahergeradelt kommen. Sorgfältig wurde die beste Melone
für uns herausgesucht. Saftiges, rotes Fruchtfleisch leuchtete uns aus der
grünen Schale entgegen und wurde uns mit freundlichen Worten gereicht. Wir aßen
die Melone nach Landessitte, nach der das Fruchtfleisch in Würfel geschnitten
und dann mit dem Messer aufgespießt wird. Dazu gab es Lepjoschka, das
Fladenbrot. Eine herrliche Mahlzeit! Der schönste heimatliche Braten hätte uns
nicht besser schmecken können. Als wir alles aufgegessen hatten, konnten wir
uns kaum noch bewegen. Unser Freund bot uns weitere Melonen an, wir aber
konnten nicht mehr. So schwoll unser Gepäck innerhalb weniger Minuten um 5 kg
an und unsere Rucksäcke zeigten verdächtige Ausbeulungen.
Der Abschied fiel uns schwer. Wir
sollen unbedingt im nächsten oder übernächsten Jahr mal wiederkommen. Er will
uns dann die schönsten landschaftlichen Gebiete seiner Heimat zeigen, mit uns
auf Jagd gehen und uns zu Ehren einen Hammel schlachten. So versprachen wir:
" Wir kommen wieder, und wenn es erst überüberübernächstes Jahr
wird."
"Ich freue mich schon auf Euren Besuch", rief
er uns noch nach, als wir schon wieder auf den Rädern saßen.
Zwei Tage radelten wir am fast 200
Kilometer langen Nordufer entlang. Alma-Ata lag in greifbarer Nähe, 100
Kilometer Luftlinie, doch dazwischen spannten sich zwei der nördlichsten
Gebirgsketten des Tienschans. Der direkte Weg war nur den Alpinisten
vorbehalten.
Unsere Route führte in einem weitem
Bogen um diese Gebirgsketten herum. Mit der Überquerung der
kirgisisch-kasachischen Unionsgrenze erreichten wir den östlichsten Punkt
unserer Reise. Weiter südlich, auf gleichem Längengrad, liegt Sri Lanka.
Wir hatten uns auf "nur noch
abfahren" eingestellt, als uns ein Schild einen großen Schreck einjagte:
"Kegenski Perewal - 14 Kilometer". Dahinter führte die Straße steil
aufwärts. Mit einer Paßüberquerung hatten wir nicht mehr gerechnet. Wohl oder
übel nahmen wir die Steigung in Angriff, doch schon nach einem Kilometer hatten
wir den Bergsattel erreicht, die restlichen 13 Kilometer führten in einer serpentinenreichen
Fahrt hinunter in die kasachische Steppe.
Ein 150-Kilometer-Endspurt brachte uns schließlich ans
Ziel. Die uns verbliebene Zeit und Kraft nutzten wir zu einem Ausflug zur
"Hochgebirgseisbahn der Rekorde" in Medeo. Die Fahrt auf die 2000
Meter hoch gelegene Krone des Murenschutzdammes forderte ein letztes mal unsere
"Kletterkünste" heraus, ehe es nur noch abwärts zum Flughafen
Alma-Atas und von dort per Flugzeug zurück in die Heimat ging.
Wir hatten es geschafft. Von Duschanbe
nach Alma-Ata, aus eigener Kraft, durch vier Sowjetrepubliken, über unwegsame
Straßen, über 7 Hochgebirgspässe - 2190 Kilometer Kampf gegen Hitze und Kälte,
gegen Staub und Geröll. Gezeichnet von den Strapazen und überwältigt von den
Eindrücken konnten wir die Hochgebirgs-Fahrrad-Expedition Pamir-Tienschan '87
erfolgreich abschließen. Erfreulich für Testfahrer und Konstrukteure
gleichermaßen war, daß trotz der weit über das Normale hinausgehenden Belastung
nur wenige Defekte an der neuen "SPRINT"-Sportrad-Technik zu verzeichnen
waren.
Folge der hohen Gepäckzuladung - über
30 kg - sind die aufgetretenen Speichenbrüche. Mit einem Kugellagerwechsel am
Tretlager, einem gebrochenen Sperrklinkenpaar und zwei "Plattfüßen"
ist die Liste der notwendigen Reparaturen bereits vollständig. Die
Wartungsarbeiten beschränkten sich auf das Fetten der Bowdenzüge, Nachstellen
der Pedallager und Ölen der Kette. Die zwei mitgeführten Ersatzreifen konnten
wir in Alma-Ata ungenutzt verschenken, die Waltershausener Neuentwicklung für
"SPRINT" brachte mit einer Verminderung des Rollwiderstandes und
einer erhöhten Verschleißfestigkeit einen echten Gewinn.
Jens-Ulrich
Groß Lutz Gebhardt
Herbst
1987